Wer seinen Nachlass anderen Personen, als es die gesetzliche Erbfolge vorsieht, vermachen möchte, kann dies mit einem Testament oder Erbvertrag zu Lebzeiten festlegen. Doch bestimmten Angehörigen steht auch dann ein sogenannter Pflichtteil zu, wenn sie beispielsweise nicht im Testament genannt sind.
Anspruch auf einen Pflichtteil
Es gibt Angehörige, die gemäß §§ 2303 bis 2345 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) immer einen Anspruch auf einen Pflichtteil, also eine Mindestbeteiligung am Nachlass eines Verstorbenen, haben. Dies gilt auch dann, wenn ein Testament oder Erbvertrag des Erblassers besteht und sie hier nicht erwähnt oder sogar ausdrücklich vom Erbe ausgeschlossen wurden. Bei Ehepaaren steht auch dem Ehepartner ein Pflichtteil zu.
Den Anspruch auf einen Pflichtteil können der Ehepartner und die Abkömmlinge des Verstorbenen, also seine Kinder und Kindeskinder, geltend machen. War der Erblasser kinderlos, steht nicht nur dem Ehepartner, sondern auch den Eltern des Verstorbenen ein Pflichtteil zu.
Nicht pflichtteilsberechtigt sind dagegen alle anderen Angehörigen des Verstorbenen, also die Geschwister, Nichten und Neffen, Onkel und Tanten, Cousinen und Cousins. Kein Pflichtteilsanspruch besteht zudem für einen unverheirateten Lebenspartner sowie für die Kinder des Ehe- oder Lebenspartners, wenn sie nicht die leiblichen Kinder des Verstorbenen sind oder von ihm adoptiert wurden.
Die Höhe des Pflichtteils beträgt die Hälfte des Wertes, die dem Ehepartner oder den entsprechenden Angehörigen nach der gesetzlichen Erbfolge, also ohne ein Testament oder einen Erbvertrag, gemäß §§ 1922 bis 1936 BGB zugestanden hätte. Wer einen Pflichtteilsanspruch hat, kann nur eine entsprechende Geldsumme fordern, das heißt, der Pflichtteilsberechtigte kann keine Herausgabe von Sachwerten wie ein Gemälde oder Schmuckstücke verlangen. Übrigens: Wer ein Erbe erhält, das laut Testament niedriger ist als der Pflichtteil, der ihm zusteht, kann den noch fehlenden Wert laut § 2305 BGB von den anderen Erben einfordern.
Beispiele: Pflichtteil bei einem Ledigen …
Folgende Beispiele zeigen, wie sich ein Pflichtteilsanspruch auswirken kann: Im Todesfall einer ledigen kinderlosen Person haben ihre Mutter und ihr Vater einen Pflichtteilsanspruch von insgesamt 50 Prozent (je Elternteil also 25 Prozent) des Nachlasswertes. Leben die Eltern nicht mehr, hat keiner der übrigen Angehörigen wie Geschwister, Großeltern, Nichten und Neffen ein Anrecht auf einen Pflichtteil.
Hatte der ledige Erblasser Kinder, erhalten alle Kinder zusammen einen Pflichtteil von insgesamt 50 Prozent, der sich je nach Zahl der Kinder anteilig aufteilt – für die Eltern des Erblassers besteht in dem Fall kein Pflichtteilsanspruch.
… bei einem Ehepaar mit Kindern …
Stirbt bei einem Ehepaar mit dem Güterstand der Zugewinngemeinschaft, das Kinder hat, ein Ehepartner, steht dem hinterbliebenen Ehepartner laut normaler Erbfolge nach § 1931 BGB 25 Prozent des Nachlasses des Verstorbenen zu. Zudem erhält er gemäß § 1371 BGB pauschal noch weitere 25 Prozent des Nachlasses als Ausgleich für die Beendigung der Zugewinngemeinschaft durch den Tod des Ehepartners. Den leiblichen oder adoptierten Kindern des Verstorbenen stehen insgesamt 50 Prozent des Nachlasses als normale Erbfolge zu.
Wurde der Ehepartner jedoch in einem bestehenden Testament nicht als Erbe aufgeführt, beträgt sein Pflichtteil den Geldwert von 12,5 Prozent des Nachlasses zuzüglich eines Zugewinnausgleichs gemäß den §§ 1371, 1373 bis 1383 und 1390 BGB. Wurden die Kinder enterbt, haben sie zusammen einen Pflichtteilsanspruch von 25 Prozent des Wertes des Nachlasses – bei zwei Kindern wären das je Kind 12,5 Prozent.
… bei einem kinderlosen Ehepaar
Verstirbt bei einem kinderlosen Ehepaar (Güterstand: Zugewinngemeinschaft) ein Ehepartner, dessen Eltern noch leben, kann der verbliebene Ehepartner 25 Prozent des Nachlasses als Pflichtteil zuzüglich eines Zugewinnausgleichs fordern. Auch die Eltern des Verstorbenen, sofern sie noch leben, haben einen Pflichtteilsanspruch von insgesamt 12,5 Prozent des Nachlasses in Form einer Geldsumme.
Leben die Eltern und die Großeltern des Verstorbenen nicht mehr, sind jedoch Abkömmlinge der Eltern, also Geschwister oder Nichten und Neffen des Verstorbenen, vorhanden, erhält der hinterbliebene Ehepartner ebenfalls nur 25 Prozent des Nachlasses als Pflichtteil zuzüglich Zugewinnausgleich. Die Geschwister, Nichten oder Neffen des Verstorbenen haben dagegen keinen Pflichtteilsanspruch.
Nur wenn bei einem kinderlosen Ehepaar vom verstorbenen Ehepartner weder Eltern noch Großeltern leben und auch keine Geschwister und deren Abkömmlinge wie Nichten und Neffen des Erblassers vorhanden sind, hat der hinterbliebene Ehepartner einen Pflichtteilsanspruch von 50 Prozent des Nachlasses, zuzüglich Zugewinnausgleich.
Der Pflichtteil wird nicht automatisch ausbezahlt
Wer Anspruch auf einen Pflichtteil hat, muss diesen einfordern, denn er wird nicht automatisch vom Nachlassgericht zugesprochen. Für die Anforderung des Pflichtteils besteht eine dreijährige und eine 30-jährige Verjährungsfrist, die sich nach den §§ 195 und 199 BGB richten.
Konkret gilt: Ein Pflichtteil muss binnen drei Jahren, ab dem Jahresende, nachdem der Pflichtteilsberechtigte erfahren hat, dass der Erblasser verstorben ist und er enterbt wurde, schriftlich bei den testamentarischen Erben eingefordert werden. Hat der Pflichtteilsberechtigte keine Kenntnis über das Ableben des Erblassers, endet die Verjährungsfrist spätestens 30 Jahre nach dem Todestag des Erblassers.
Beispiel: Eine Witwe mit zwei Kindern, einem Sohn und einer Tochter, hat in ihrem Testament den Sohn als Alleinerben eingesetzt und somit die Tochter vom Erbe ausgeschlossen. Verstirbt die Witwe am 01.12.2022 und erfährt die Tochter am 05.01.2023, dass sie enterbt wurde, kann sie noch bis zum 31.12.2026 ihren Pflichtteil beim Bruder (Sohn und Erbe der Witwe) einfordern.
Wenn sich die Erben trotz Aufforderung weigern, den Pflichtteil auszuzahlen, kann der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil gerichtlich einklagen.
Wann ein Pflichtteil verweigert werden kann
Ein Pflichtteil kann nur verweigert werden, wenn schwerwiegende Gründe, die in § 2333 BGB genannt sind, vorliegen oder nach § 2339 BGB eine Erbunwürdigkeit besteht. Laut § 2333 BGB kann ein Erblasser dem normalerweise Pflichtteilsberechtigten, also seinem Kind oder Kindeskind (Enkel, Urenkel etc.), seinem Ehegatten, seiner Mutter oder seinem Vater, den Pflichtteil noch zu Lebzeiten entziehen, wenn dieser
- „dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahestehenden Person nach dem Leben trachtet,
- sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der in Nummer 1 bezeichneten Personen schuldig macht,
- die ihm dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt oder
- wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. Gleiches gilt, wenn die Unterbringung des Abkömmlings in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird.“
Doch auch wenn der Erblasser bereits verstorben ist, kann einem Erbe – selbst wenn derjenige in einem Testament aufgeführt ist – und sogar einem Pflichtteilsberechtigten (also dem Ehegatten, dem Elternteil oder den Abkömmlingen, also Kindern und Kindeskindern des Verstorbenen) das Erbe und sogar der Pflichtteil verweigert werden, wenn die betroffene Person als erbunwürdig gilt. Erbunwürdig ist gemäß § 2339 BGB eine Person, die den Erblasser
- „vorsätzlich und widerrechtlich getötet oder zu töten versucht oder in einen Zustand versetzt hat, infolge dessen der Erblasser bis zu seinem Tode unfähig war, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben,
- vorsätzlich und widerrechtlich verhindert hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben,
- durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben“, oder
- eine Person, die das Testament des Erblassers gefälscht, verändert, vernichtet oder unkenntlich gemacht hat oder es unterschlagen hat, damit es nicht beim Nachlassgericht vorgelegt werden kann.
Allerdings tritt die Erbunwürdigkeit nicht automatisch ein. Hat ein Erbe Kenntnis davon, dass ein Grund für eine Erbunwürdigkeit eines anderen Erben vorliegt, und kann dies bewiesen werden, kann er binnen eines Jahres eine Anfechtungsklage gegen den Erbunwürdigen vor Gericht einreichen. Es gibt zudem die Möglichkeit, dass der Erblasser noch zu Lebzeiten mit einem eigentlich Pflichtteilsberechtigten einen schriftlichen Pflichtteilsverzicht vereinbart. Dieser Pflichtteilsverzicht muss in der Regel von einem Notar beurkundet sein.
Zu allen Fachfragen rund um die Hinterbliebenenabsicherung ist die Fachabteilung LV der SDV AG gerne für Sie erreichbar:
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