Letztes Jahr verunfallten über 800.000 Arbeitnehmer während der Berufsausübung so schwer, dass die Unfälle der gesetzlichen Unfallversicherung gemeldet werden mussten. Das Risiko, dass ein Beschäftigter einen solchen schweren Arbeitsunfall erleidet, ist in manchen Branchen bis zu sechsmal höher als in anderen.
Es ereignen sich wieder mehr Arbeitsunfälle
Ein Arbeitsunfall, also ein Unfall, der sich während der Arbeitstätigkeit ereignet, muss beim Träger der gesetzlichen Unfallversicherung gemeldet werden, wenn der betroffene Beschäftigte deswegen mehr als drei Tage arbeitsunfähig war oder sogar verstorben ist. Als Unfallversicherungsträger ist in der Regel für einen Erwerbstätigen der gewerblichen Wirtschaft je nach Branche die entsprechende Berufsgenossenschaft (BG) und für einen Beschäftigten bei einer Institution der öffentlichen Hand die jeweilige Unfallkasse zuständig.
Nicht zuletzt aufgrund des immer besser werdenden Arbeitsschutzes gibt es seit Jahren tendenziell immer weniger meldepflichtige Arbeitsunfälle. Der bisherige Tiefststand seit der Wiedervereinigung 1990 wurde in 2020, dem ersten Jahr der Coronapandemie, erreicht. Damals gab es nach den Daten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (DGUV) 760.492 Arbeitsunfälle und damit 12,8 Prozent weniger als 2019.
2021 ist die Anzahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle wieder gestiegen, nämlich auf 806.217 – 6,0 Prozent mehr als noch 2020. Auch im ersten Halbjahr 2022 hat sich gegenüber dem ersten Halbjahr des Vorjahres die Anzahl um 0,2 Prozent auf 393.729 Unglücke erhöht.
Auch die Unfallquote hat sich erhöht
Betrachtet man die Unfallquote – im Detail ist das die Anzahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle in Relation zu 1.000 Vollarbeitern –, zeigt sich ebenfalls, dass für die Beschäftigten letztes Jahr das Risiko, einen Arbeitsunfall zu erleiden, gegenüber dem Vorjahr höher war.
Ein Vollarbeiter entspricht laut der Definition des DGUV „der durchschnittlich von einer vollbeschäftigten Person im produzierenden Gewerbe und Dienstleistungsbereich tatsächlich geleisteten Arbeitsstundenzahl pro Jahr“.
In 2021 gab es statistisch gesehen 40,75 Millionen Vollarbeiter und damit 1,1 Prozent weniger als noch 2020, damals waren es 41,22 Millionen Vollarbeiter. Dagegen wurden 2021 19,8 Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter gemeldet und damit 7,2 Prozent mehr als 2020, damals lag die Unfallquote noch bei 18,5.
Beschäftigte in Großbetrieben haben das geringste …
Die DGUV-Studie „Arbeitsunfallgeschehen 2021“ belegt zudem, dass das Arbeitsunfallrisiko in Großbetrieben kleiner ist als in kleineren und mittleren Unternehmen. Betrachtet man nämlich die Arbeitsunfallquote der Erwerbstätigen, die über die gewerblichen Berufsgenossenschaften und nicht über die Unfallkassen gesetzlich unfallversichert waren, zeigen sich je nach Unternehmensgröße erhebliche Unterschiede. Durchschnittlich gab es hier letztes Jahr 23,2 Arbeitsunfälle pro 1.000 Vollarbeiter.
Ein unterdurchschnittliches Arbeitsunfallrisiko wiesen 2021 die kleinen und die großen Betriebe auf. Unternehmen mit bis zu 9 Vollarbeitern hatten im Schnitt 21,5 und Unternehmen mit einer Größe von 250 bis 499 Vollarbeitern 21,3 meldepflichtige Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter. Das niedrigste Arbeitsunfallrisiko gab es bei den Großunternehmen mit 500 oder mehr Vollarbeitern – ihre Unfallquote lag bei 17,7.
… und in mittelgroßen Firmen ein hohes Arbeitsunfallrisiko
Überdurchschnittlich hoch war das Unfallgeschehen bei Betrieben mit 50 bis 249 Vollarbeitern. In diesen Unternehmen ereigneten sich 26,1 Arbeitsunfälle pro 1.000 Vollarbeiter. Das höchste Unfallrisiko hatten die Beschäftigten in Betrieben mit 10 bis 49 Vollarbeitern – dort gab es letztes Jahr durchschnittlich 29,5 Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter. Arbeitnehmer in einem Kleinbetrieb mit 10 bis 49 Vollarbeitern hatten damit ein fast 1,6-fach höheres Arbeitsunfallrisiko als Beschäftigte in einem Großunternehmen ab 500 Vollarbeitern.
„Die Gründe dafür, warum in KMU die Arbeitsunfallquoten höher sind als in Großunternehmen, sind vielfältig. Zum einen liegt es sicher an der unterschiedlichen Branchenverteilung. Zu den Großen zählen auch viele Verwaltungen und Betriebe mit vielen Büroarbeitsplätzen. Dort ist das Unfallrisiko niedriger als im produzierenden Gewerbe. Auch verfügen größere Betriebe oft über Arbeitsschutzmanagementsysteme, während KMU den Arbeitsschutz nicht auf vielen Schultern verteilen können“, erklärt Präventionsexperte Dr. Heinz Schmid von der DGUV.
Die Gefahr von Arbeitsunfällen ist im Baugewerbe am höchsten
Auch je nach Branche unterscheidet sich das Risiko eines Beschäftigten, einen Arbeitsunfall zu erleiden, deutlich. Dies zeigt der Vergleich der Unfallquoten, also der Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter, die den jeweiligen Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung, also den neun branchenspezifischen Berufsgenossenschaften und den 24 Unfallkassen, gemeldet wurden.
Die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen verzeichneten 2021 im Einzelnen folgende Arbeitsunfallquoten:
- Die BG Bauwirtschaft 49,8,
- die BG Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation 42,9,
- die BG Holz und Metall 33,1,
- die BG Nahrungsmittel und Gastgewerbe 32,2,
- die BG Handel und Warenlogistik 24,3,
- die BG Rohstoffe und chemische Industrie 18,9,
- die BG Energie, Textil, Elektro und Medienerzeugnisse 17,0,
- die BG Gesundheits- und Wohlfahrtspflege 15,2,
- die Verwaltungs-BG 13,0 und
- die Unfallkassen der öffentlichen Hand 7,7.
Wie bereits genannt, ereigneten sich bei allen gesetzlich unfallversicherten Erwerbstätigen im Durchschnitt 19,8 Arbeitsunfälle je 1.000 Vollbeschäftigte. Das höchste Arbeitsunfallrisiko hatten Beschäftigte der Bauwirtschaft. Die Unfallquote und damit die Gefahr, einen meldepflichtigen Arbeitsunfall zu erleiden, war im Bauwesen 2,5-mal höher als bei allen in der Statistik berücksichtigten Erwerbstätigen und sogar 6,4-mal höher als bei den Beschäftigten, die bei den Institutionen der öffentlichen Hand arbeiten und mit einer Unfallquote von 7,7 auch das niedrigste Arbeitsunfallrisiko aufweisen.
Bei der Auswertung nicht berücksichtigt sind die Arbeitenden der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau, die über die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau gesetzlich unfallversichert sind, da hier noch keine Unfalldaten für 2021 vorliegen.
Der gesetzliche Unfallschutz allein reicht nicht
Grundsätzlich bietet die gesetzliche Unfallversicherung nur einen lückenhaften Versicherungsschutz an. Zum einen sind Arbeitnehmer hier meist nur bei Arbeits- und Wegeunfällen abgesichert, nicht jedoch bei den deutlich häufiger vorkommenden Haushalts- und sonstigen Freizeitunfällen. Zum anderen reichen die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere bei einer unfallbedingten Erwerbsminderung nicht aus, um die finanziellen Einbußen auszugleichen.
Selbst bei einer 100-prozentigen Erwerbsminderung als Folge eines Arbeitsunfalles ist die Höhe der gesetzlichen Unfallrente, also die Verletztenrente, die man von der gesetzlichen Unfallversicherung erhalten kann, auf maximal zwei Drittel des letzten Jahresarbeitsverdienstes vor dem Unfall begrenzt. Auch wer aufgrund des Arbeitsunfalles neben der Verletztenrente eine Erwerbsminderungsrente von der gesetzlichen Rentenversicherung erhält, muss damit rechnen, dass diese gekürzt wird und damit beide ausgezahlten Renten zusammen unter dem bisherigen Einkommen liegen.
Detaillierte Erklärungen, mit welcher Rentenkürzung zu rechnen ist, wenn Anspruch auf eine Verletztenrente und eine gesetzlichen Erwerbsminderungsrente besteht, enthält das Kapitel 6 des aktualisierten Studientextes der Deutschen Rentenversicherung „Zusammentreffen von Rente und Einkommen“.
Zu allen Fachfragen rund um die Einkommensabsicherung ist die Fachabteilung LV der SDV AG gerne für Sie erreichbar:
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