Selbst bei Arbeitsunfällen hat die gesetzliche Unfallversicherung Lücken

Wer glaubt, dass er bei einem Unfall während der Arbeit ausreichend über die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert ist, der irrt. Dies belegen diverse Gerichtsurteile. Der gesetzliche Unfallschutz greift nämlich zum einen nicht bei allen Unfällen im Beruf, zum anderen reichen die Leistungen selbst bei einer unfallbedingten Erwerbsminderung nicht aus, um das bisherige Einkommen zu ersetzen.

Versichert sind nur berufliche Tätigkeiten

Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Arbeitnehmern überwiegend nur bei Arbeits- und Wegeunfällen Versicherungsschutz, nicht jedoch bei den weitaus häufiger vorkommenden Freizeitunfällen wie Unfälle bei Haus- und Gartenarbeiten oder bei sonstigen Freizeitaktivitäten. Doch selbst während der Arbeitszeit steht nicht jedes Unglück unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Grundsätzlich stehen nämlich nur Unfälle, die ein Arbeitnehmer infolge der beruflichen Tätigkeit erleidet, unter dem gesetzlichen Unfallschutz – unabhängig davon, ob der Beschäftigte in den Betriebsräumen seines Arbeitgebers, bei einem Kunden vor Ort oder im Homeoffice arbeitet. Auch alle Handlungen, die notwendig sind, um die berufliche Tätigkeit auszuüben, unterliegen dem gesetzlichen Unfallschutz.

Darunter fallen unter anderem das Aufräumen des Arbeitsplatzes, aber auch die Beförderung, Reinigung, Verwahrung, Instandhaltung und Wartung sowie die Erneuerung von Werkzeugen und Arbeitsgeräten. Versichert sind z.B. Unfälle, die sich ereignen, wenn man für den Drucker einen neuen Toner benötigt und diesen zum Auswechseln vom Lager bzw. aus einem anderen Zimmer holt. Nicht gesetzlich unfallversichert sind dagegen Unfälle im Rahmen privater Verrichtungen, selbst wenn diese innerhalb der Arbeitszeit getätigt werden.

Versicherungslücken bei der Berufsausübung

Keinen gesetzlichen Unfallschutz gibt es z.B. für Unfälle während einer Raucherpause sowie auf dem Hin- oder Rückweg vom Arbeitsplatz zum Rauchen, wie ein Urteil des Sozialgerichts Berlin (S 68 U 577/12) belegt.

Ebenfalls keinen gesetzlichen Unfallschutz hat ein Arbeitnehmer in der Regel bei einem Unfall, während er sich zur Verrichtung der Notdurft in einer Toilette aufhält. Zwar ist der Gang zur und von der Toilette zum Arbeitsplatz durch die gesetzliche Unfallversicherung abgedeckt, nicht jedoch ein Unfall im Toilettenraum, wie Urteile des Bundessozialgerichts (B 2 RU 5/89) und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (L 10 U 2537/18) belegen.

Ähnlich verhält es sich bei der Nahrungsaufnahme. Das verdeutlicht ein Statement der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM): „Essen und Trinken während einer Arbeitspause sind grundsätzlich keine versicherten Tätigkeiten, da sie überwiegend dem privaten, persönlichen Lebensbereich zuzuordnen sind.“ Wer sich beispielsweise am Essen verschluckt oder in der Kantine stürzt, kann nicht mit Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung rechnen.

Umwege, die den Versicherungsschutz kosten

Auch bei den Wegeunfällen gibt es diverse Lücken des gesetzlichen Unfallschutzes. Grundsätzlich ist ein Wegeunfall ein Unfall, der sich auf dem unmittelbaren Arbeitsweg zwischen dem gewöhnlichen Aufenthaltsort wie dem Wohnort und der Arbeitsstelle ereignet.

Auf Umwegen aus privaten Gründen, zum Beispiel um einkaufen zu gehen, Geld beim Automaten zu holen, um zu Tanken oder sich mit Freunden zu treffen, entfällt der gesetzliche Unfallschutz.

Wird der Weg von oder zur Arbeit aufgrund privater Motive mehr als zwei Stunden unterbrochen, entfällt auch für den restlichen Arbeitsweg der gesetzliche Unfallschutz.

Vorerkrankungen können zum Problem werden

Selbst wenn eine Vorerkrankung oder eine vor Jahren erlittene Verletzung wie ein in der Freizeit auftretender Bänderriss, mitverantwortlich ist, dass man während der Berufsausübung umknickt und stürzt, kann das dazu führen, dass dieser Sturz nicht als Arbeitsunfall anerkannt wird. Dies zeigt ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (L 8 U 5043/09).

Auch wenn ein Arbeitnehmer infolge eines Kreislaufkollaps oder einer Ohnmacht auf einer ebenen Fläche stürzt und sich dabei verletzt, kann es sein, dass dieser Unfall nicht als Arbeitsunfall gewertet wird, sofern die Ohnmacht nicht auf betriebliche Faktoren wie Stress und Zeitdruck zurückzuführen sind, so ein Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (L 8 U 53/13).

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales betont zudem: „Es liegt kein Arbeitsunfall vor, wenn Verletzungen oder Gesundheitsschäden ohne Einwirkung von außen zufällig während der versicherten Tätigkeit auftreten. Wenn also zum Beispiel ein Mitarbeiter am Schreibtisch einen Herzinfarkt erleidet oder bei einem bestehenden Bandscheibenschaden einen ‚Hexenschuss‘ bekommt.“

Wenn ein Arbeitsunfall zur Berufsunfähigkeit führt

Doch selbst wenn ein Unfall unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fällt, kann eine unfallbedingte Invalidität, Berufs- oder Erwerbsminderung zu hohen Einkommenseinbußen und Zusatzkosten des Verunfallten führen, die nicht durch Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung komplett ausgeglichen werden.

Einen Anspruch auf eine Verletztenrente, also eine Unfallrente von der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund eines Arbeitsunfalles, erhält man nur, wenn dieser zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 Prozent geführt hat, die auch nach der 26. Woche nach dem Unfall weiterhin besteht.

Maßgeblich ist dabei die Minderung der allgemeinen Erwerbsfähigkeit, also nicht inwieweit man den erlernten oder bisher ausgeübten Beruf noch ausüben kann. Wer also nach einem Arbeitsunfall zwar berufsunfähig ist, aber keine 20-prozentige Erwerbsminderung hat, erhält keine Verletztenrente.

Verletztenrente deutlich niedriger als bisheriges Einkommen

Doch selbst wenn man aufgrund eines Arbeitsunfalles dauerhaft gar keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen kann, also eine 100-prozentige Erwerbsminderung vorliegt, ist die Höhe der entsprechenden Vollrente niedriger als das Einkommen, das der Betroffene vor seinem Unfall erhalten hat.

Grundsätzlich richtet sich die Höhe der Verletztenrente zwar nach dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Berechnungsgrundlage sind jedoch nur zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes, also des Arbeitseinkommens der vergangenen zwölf Monate, welches der Verunfallte vor dem Arbeitsunfall bezog. Damit beträgt die Vollrente auch bei einer 100-prozentige Erwerbsminderung höchstens zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes.

Erhält man wegen einer erlittenen Erwerbsminderung neben einer Verletztenrente von der gesetzlichen Unfallversicherung auch eine Erwerbsminderungsrente von der gesetzlichen Rentenversicherung, kann die gesetzliche Erwerbsminderungsrente gemäß § 93 Sechstes Sozialgesetzbuch gekürzt werden. Konkret kommt es zu einer Rentenkürzung um den Betrag, den beide Renten zusammen – abzüglich eines Freibetrages bei der Verletztenrente, der abhängig vom Grad der Erwerbsminderung ist – über einem Grenzbetrag liegen.

Der Jahresgrenzbetrag beträgt bei einer vollen Erwerbsminderungsrente 70 Prozent und bei einer gesetzlichen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung 35 Prozent des Jahresarbeitsverdienstes vor dem Arbeitsunfall. Eine detaillierte Erklärung, wie die Anrechnung einer Unfallrente von der gesetzlichen Unfallversicherung und einer Rente von der gesetzlichen Rentenversicherung wie der Erwerbsminderungsrente konkret erfolgt, gibt das Kapitel 6 des online abrufbaren Studientextes „Zusammentreffen von Rente und Einkommen“ von der Deutschen Rentenversicherung.

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