Nach der Digitalisierung heißt der nächste Trend Künstliche Intelligenz. Schon jetzt beruhen viele Technologien um uns herum auf dem eigenständigen Lernen der Computerprogramme. Inwieweit dieses Thema bereits in der Versicherungsbranche eingesetzt wird, erfahren Sie hier.
„Terminator“ mit Arnold Schwarzenegger aus dem Jahr 1984, die „Matrix“-Trilogie mit Keanu Reeves ab 1999 oder fünf Jahre später „I, Robot“ mit Will Smith – in all diesen Filmen heißt es Mensch gegen Maschine. Dabei sollten die Computer den Menschen eigentlich nur so viel Arbeit wie möglich abnehmen. Sie sollten für ein sichereres und einfacheres Leben sorgen. In dem Film „Surrogates – Mein zweites Ich“, einem futuristischen Thriller mit Bruce Willis, ging die Geschichte 2009 sogar so weit, dass eine Art Androiden (die Surrogates, sog. „Vertreter“) anstelle der echten Menschen deren Leben lebten. Die Männer und Frauen aus Fleisch und Blut mussten ihre eigenen vier Wände gar nicht mehr verlassen.
Die Vorstufe für diese doch etwas beklemmende Zukunft ist die Künstliche Intelligenz (KI). Nach der Digitalisierung, die nun im Großen und Ganzen abgeschlossen ist, auch wenn noch längst nicht alles digital ist, sind diese lernfähigen Programme laut Zukunftsforschern der nächste Trend. Noch schneller, noch effizienter und vor allem noch besser auf die Kundenbedürfnisse ausgerichtet, eröffnen sich viele neue Geschäftsmöglichkeiten. Das Sammeln von Daten spielt dabei eine immens wichtige Rolle. Darauf beruht ein entsprechendes System. Aus diesem lernen die Maschinen, indem sie rechnen. Schon jetzt stecken Dinge wie autonomes Fahren, vernetzte Maschinen in Produktionsbetrieben, Pflegeroboter oder Unterstützung bei der Behandlung oder Diagnose von Krankheiten in den Kinderschuhen. Andere Anwendungen sind bereits weiter, wie Film-Empfehlungen beispielsweise über Netflix. Dabei sind in der Weiterentwicklung der Programme meist nicht nur technische Feinheiten zu berücksichtigen, sondern vor allem ethische, moralische oder juristische.
Und auch vor Finanz- und Versicherungsgeschäften macht diese Entwicklung nicht Halt. In der Versicherungswirtschaft beispielsweise fallen extrem viele Daten an. Sei es die Antragsannahme oder
-bearbeitung, das Ausstellen einer Police, das Versenden an den Kunden per Post oder digital bis hin zum konkreten Leistungsfall. Je komplexer das Produkt, also etwa eine Berufsunfähigkeitsversicherung oder eine private Krankenversicherung, desto schwieriger ist es aktuell noch, Künstliche Intelligenz dafür einzusetzen.
Ein aktuelles Projekt, das nicht die Angebote der Versicherer, sondern die Wünsche des Kunden in den Mittelpunkt der Suche nach der passenden Absicherung stellt, ist Snoopr.
Der Ansatz des Start-ups, das laut Unternehmen eine Kombination aus Google-Suche und Amazon-Shopping ist, zeigt Treffer jeder Suche nicht nach Preis oder ähnlichem sortiert an, sondern nach der Relevanz anhand der vorher eingegebenen Anfrage. Hier ist es wichtig, dass beispielsweise der Berater im Kundengespräch die richtigen Fragen stellt und entsprechende Antworten eingibt. Also beispielsweise nicht nur den Begriff „Haftpflichtversicherung“, sondern erweitert um etwa die Berufsgruppe.
Im Hintergrund von Snoopr durchforstet die Künstliche Intelligenz A-va die von den Versicherern zur Verfügung gestellten Daten. Die dort hinterlegten Informationen müssen jedoch aufgrund der Verarbeitung durch das Programm anders aussehen als bisher üblich. „Standen bisher Kategorien im Fokus der Produktdarstellung, ist es jetzt der Kundenwunsch“, sagt Markus Heussen, Snoopr-Gründer und Geschäftsführer. „Der Kunde möchte eine Frage beantwortet wissen und dafür müssen andere Kriterien präsentiert werden als bei den üblichen Vergleichsprogrammen. Versicherer müssen also mehr als eine reine Produktbeschreibung liefern.“ So würde es wichtig sein, die Besonderheiten herauszustellen, damit der Kunde oder eine Zielgruppe darauf aufmerksam wird und bei der Suchanfrage das Produkt an erster Stelle landet. Das Programm A-va lernt dabei ständig dazu, weil im Hintergrund das sogenannte deep learning (zu deutsch: tiefgehendes Lernen) abläuft. Erfahrung ist das Wichtigste. Denn die Maschine „weiß“, was der Kunde sich wünscht, weil sie darüber Berechnungen anstellt, selbstständig Muster erkennt und Schlüsse ziehen kann.
Verbraucher können Snoopr unter anderem über Amazons Sprachassistenten Alexa nutzen. Vor allem junge Kunden scheuen sich nicht vor einem Vertragsabschluss mit Alexa, wie jüngst eine Umfrage des Softwareherstellers Adcubum zeigt. Demnach können sich grundsätzlich 57 Prozent der Bundesbürger vorstellen, eine Versicherung komplett online abzuschließen. Bevorzugt sind dabei Sach- und Kfz-Versicherungen. Jeder Zehnte würde dafür auch einen Sprachassistenten einsetzen – und in der Altersgruppe 18 bis 34 Jahre ist es bereits jeder Fünfte, der einen Vertrag über Alexa oder Siri eingehen würde. Nach einer Untersuchung des Kölner Beratungsunternehmens für Versicherer beim Thema neue Medien, As-im-Ärmel, soll es bereits über 25.000 Alexa-Skills geben. Skills sind Gratis-Apps für die Sprachplattform. Amazons Echo zum Beispiel besitze einen Marktanteil von rund
67 Prozent. Dieses Potenzial erkennen zunehmend die Versicherungsunternehmen und auch Krankenkassen. Allein die Allianz bietet derzeit drei Skills an. Eine Allgemeine, eine Beratungs-Skill und eine zum Thema Rentenscore.
Im Oktober neu hinzu kam beispielsweise die Ergo-Tochter Europäische Reiseversicherung (ERV). Und auch mit der Alexa-Skill der Deutsche Familienversicherung (DFV) lässt sich seitdem eine Auslandsreisekrankenversicherung komplett digital abschließen – ohne Unterschrift. Die Identität des Käufers werde mit den Kundendaten des Amazon-Kontos abgeglichen, so ERV. Das Unternehmen ist überzeugt, dass in den kommenden fünf Jahren die Bedeutung von Sprachsystemen massiv zunehmen wird.
Bei der DFV war eine Beratung zur Auslandsreisekrankenversicherung bereits seit Längerem möglich. Allerdings konnte der Prozess nicht mit einer Police abgeschlossen werden, weil die Verbindung mit Amazon Pay bis vor Kurzem fehlte. Diese Lücke wurde nun geschlossen. Die Auslandsreisekrankenversicherung sei allerdings nur der Anfang. Weitere Produkte sollen laut Unternehmenschef Stefan M. Knoll folgen.
In einer neuen Studie („The Rise of Artificial Intelligence: Future Outlook and Emerging Risks“), deren Ergebnisse im März 2018 veröffentlicht wurden, widmet sich Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) den Vorteilen und Risiken von Künstlicher Intelligenz in Unternehmen, inklusive der Versicherungsbranche. „Egal ob für Wirtschaft, Politik, Mobilität, Gesundheit, Verteidigung oder Umwelt, KI bringt vielfältige Vorteile, aber auch potenzielle Risiken mit sich“, sagt Michael Bruch, Head of Emerging Trends bei der AGCS. „Wir brauchen dringend vorbeugende Maßnahmen zur Risikominderung, um den Nettonutzen bei der breiten Einführung von KI-Anwendungen zu maximieren und unbeabsichtigte Nebenwirkungen zu reduzieren“, so Bruch.
Ob es den Unternehmen gelingt, von den Potenzialen der Künstlichen Intelligenz zu profitieren, hängt jedoch davon ab, ob diese ihre Mitarbeiter für den Wandel fit machen und Mensch und Maschine zusammenarbeiten lassen. So das Fazit einer Studie des Beratungsunternehmens Accenture nach einer repräsentativen Befragung von Arbeitnehmern, Selbstständigen und Führungskräften in Deutschland. Demnach könnten die Umsätze bis 2022 weltweit im Durchschnitt um 38 Prozent steigen. Die Zahl der Mitarbeiter könnte um 10 Prozent wachsen. Beinahe jede zweite befragte Führungskraft ist davon überzeugt, dass jede Innovation auf Basis der Künstlichen Intelligenz beruht.
Diese Vorteile bringen jedoch Risiken mit sich. Das Allianz Risk Barometer 2018 hat festgestellt, dass KI-gestützte Software auf der einen Seite das Risiko für einen Cyber-Angriff verringert und darüber hinaus auch die Arbeitsprozesse erleichtern kann, weil Planung und Durchführung einfacher werden.
In den vergangenen Jahren war immer wieder von großen Hacker-Angriffen zu lesen und das wird wohl auch weiterhin der Fall sein. Im November informierte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik beispielsweise darüber, dass die Ransomware „GandCrab“ für diverse Vorfälle in Behörden, Unternehmen und Institutionen sorgte. In Bewerbungsschreiben versteckte sich die Datei und verschlüsselte beim Öffnen die Daten der Computer. Das Antivirenprogramm werde ausgetrickst, hieß es. Und längst sind nicht mehr nur Betriebe von Angriffen aus dem Netz betroffen.
Mehr und mehr Privatpersonen wurden selbst einmal Opfer oder kennen jemanden, der bereits einmal betroffen war. Zu den wichtigsten Schutzmaßnahmen, zu denen Experten immer wieder raten, gehören das regelmäßige Software-Update, das regelmäßige Sichern von Daten, das Nutzen eines professionellen Virenschutzprogramms und der gesunde Menschenverstand.
Zudem haben die Versicherer die Risiken erkannt, die mit der steigenden Vernetzung einhergehen, und spezielle Cyberpolicen entwickelt. Für Gewerbe- und Industriekunden ist das Angebot aktuell noch größer als für Privatpersonen. Jedoch gibt es neben einigen eigenständigen Tarifen in Hausrat- und Rechtsschutzversicherungen Bausteine für einige Bereiche der Cyberkriminalität. In welche Richtung es durch das permanente Lernen geht, bleibt abzuwarten. Und ob die düsteren Storys aus den erwähnten Science-Fiction-Filmen Realität werden, darauf haben die Menschen jederzeit Einfluss.